Sonntag, 31. August 2008
Aus Karl Kraus' Jahrmarkt der Gedanken
Was sich nicht alles entpuppen kann: ein Schurke und ein Schmetterling.

Ein Schein von Tiefe entsteht oft dadurch, daß ein Flachkopf zugleich ein Wirrkopf ist.

Man glaubt gar nicht, wie schwer es oft ist, eine Tat in einen Gedanken umzusetzen!

Die Funktion der Milz muß ähnlich sein wie die der Notare im Staate: notwendig, aber überflüssig.

An vieles was ich erst erlebe, kann ich mich schon erinnern.

Eines der verbreitesten Krankheiten ist die Diagnose.

Wenn der erst wüßte, wie ernst das Leben ist, er würde sich nicht erfrechen, die Kunst heiter zu finden.

Besser, es wird einem nichts gestohlen. Dann hat man wenigstens keine Scherereien mit der Polizei.

Eine Notlüge ist immer verzeilich. Wer aber ohne Zwang die Wahrheit sagt, verdient keine Nachsicht.

Man soll nicht mehr lernen, als man unbedingt gegen das Leben braucht.

Feuilletonisten und Friseure haben gleich viel mit den Köpfen zu schaffen.

Er hatte so eine Art sich in den Hintergrund zu drängen, daß es allgemein Ärgernis erregte.

Wider besseres Wissen die Wahrheit zu sagen, sollte für ehrlos gelten.

Die wahren Wahrheiten sind die, welche man erfinden kann.

Es gibt Schriftsteller, die schon in zwanzig Seiten ausdrücken können, wozu ich manchmal sogar zwei Zeilen brauche.

Nicht alles, wat totgeschwiegen wird, lebt.

Der Teufel ist ein Optimist, wenn er glaubt, daß er die Menschen schlechter machen kann.

Der Historiker ist nicht immer ein rückwärts gekehrter Prophet, aber der Journalist ist immer einer, der nachher alles vorher gewußt hat.

Zu allen Dingen lasse man sich Zeit; nur nicht zu den ewigen.

Die Unsterblichkeit ist das einzige, was keinen Aufschub verträgt.
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Erlaubt ist, was mißfällt — Karl Kraus zum Vergnügen.
Herausgegeben von Günter Baumann. Mit 12 Abbildungen. Reclams Universal-Bibliothek 18467. Philipp Reclam jun. Stuttgart, 2007. ISBN 978-3-15-018467-7. Preis € 4,—
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Abbilldungen
1. Karl Kraus (1874-1936) 1901.
2. Vorderseite des Reclam-Bändchens aus 2007: Vergnügliches aus Karl Kraus' umfangreichem Oeuvre.

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