Donnerstag, 14. August 2008
Sonnett XXIX aus dem Zweiten Teil der Sonnette an Orpheus in Rainer Maria Rilkes eigener Handschrift
Speziell für die Feuerlibelle in Wien

Immer noch sehr beliebt
Aus Erfahrung wissen wir dass wir vielen unserer Leser eine Freude bereiten indem wir hier noch einmal einen Beitrag mit einem Gedicht von Rainer Maria Rilke (1874-1926) veröffentlichen. In dem sogenannten Top 25 — in unserem Fall geht es dabei um die 25 am meisten gelesenen Artikel dieser Webseite Kulturtempel — kommt dreimal ein Beitrag mit Rilke-Gedichten vor; schon an zweiter Stelle stehen Herbstgedichte dieses Autors die wir am 24. September vergangenen Jahres hier veröffentlicht haben, und an vierter Stelle noch einmal und zwar die anderen Herbstgedichte die wir Ihnen am 11. Oktober 2007 vorgestellt haben.
Heute zeigen wir erst einmal ein Gedicht in der persönlichen Handschrift Rainer Maria Rilkes, darunter folgt dasselbige noch einmal in Druckschrift.



Dieses Facsimile stammt aus einem Buch mit 45 solcher Beispiele — von Martin Luther bis Johann Martin Usteri — das im Insel-Verlag zu Leipzig vor etwa 70 jahren zum ersten mal erschienen ist unter dem Titel Deutsche Gedichte in Handschriften. Das Auffällige für die jüngeren Leser wird sein dass die damalige Redaktion nur sechs der abgedrukten Facsimiles im Anhang in Druckform beigegeben hat, und zwar als Fraktur, da man die übrigen nicht 'näher 'erklärten' Gedichte für gut leserlich gehalten hat.



Stiller Freund der vielen Fernen, fühle,
wie dein Atem noch den Raum vermehrt.
Im Gebälk der finstern Glockenstühle
laß dich läuten. Das was an dir zehrt,

wird ein Starkes über dieser Nahrung.
Geh in der Verwandlung aus und ein.
Was ist deine leidenste Erfahrung?
Ist dir Trinken bitter, werde Wein

Sei in dieser Nacht aus Übermaß
Zauberkraft am Kreuzweg deiner Sinne,
ihrer seltsamen Begegnung Sinn.

Und wenn dich das Irdische vergaß,
zu der stillen Erde sag: Ich rinne.
Zu dem raschen Wasser sprich: Ich bin.

AUS Die Sonnette an Orpheus Zweiter Teil, letztes Sonnett: XXIX (1922).

NB: Auf meiner niederländischen Literaturseite Tempel der Letteren findet man einen weiteren Facsimile-Beitrag mit einem Gedicht von Novalis. http://tempelderletteren.blogspot.com/2008/08/facsimile-van-een-novalis-gedicht-in.html
In Belgien habe ich, gleichfalls auf einer niederländischsprachigen Kulturseite namens Cultuurspectrum, aus demselben Buch ein Goethe-Gedicht veröffentlicht. Man kann das finden unter
http://blog.seniorennet.be/cultuurspectrum/archief.php?ID=86395