Sonntag, 21. Dezember 2008
Das Wort — ein Gedicht von Friedrich Nietzsche
Das Wort
Lebendgem Worte bin ich gut:
Das springt heran so wohlgemut,
Das grüßt mit artigem Genick,
Ist lieblich selbst im Ungeschick,
Hat Blut in sich, kann herzhaft schnauben,
Kriecht dann zum Ohre selbst den Tauben,
Und ringelt sich und flattert jetzt,
Und was es tut — das Wort ergetzt.

Doch bleibt das Wort ein zartes Wesen,
Bald krank und aber bald genesen.
Willst ihm kein kleines Leben lassen,
Mußt du es leicht und zierlich fassen,
Nicht plump betasten und bedrücken,
Es stirbt oft schon an bösen Blicken —
Und liegt dann da, so ungestalt,
So seelenlos, so arm und kalt,
Sein kleiner Leichnam arg verwandelt,
Von Tod und Sterben mißgehandelt.

Ein totes Wort — ein häßlich Ding,
Ein klapperdürres Kling-Kling-Kling.
Pfui allen häßlichen Gewerben,
An denen Wort und Wörtchen sterben!

Friedrich Nietzsche (1844-1900)
Aus: Spruchhaftes aus den Jahren 1869 bis 1888

Auf dem Foto:
Friedrich Nietzsche, Basel 1873