Samstag, 21. August 2010
Ein Gedicht von Jacob Burckhardt in einem Brief vom 30. August aus Mailand an den Architekten Max Alioth
Der international respektierte und einflussreiche Kunsthistoriker — mit besonderen Kenntnissen über die Kunst der Renaissance in Italien — Jacob Burckhardt (1818-1897) hat nicht nur auf seinem Fachgebiet eine respektabele Menge an Texten produziert, doch gleichfalls hat er einen Schatz an Briefen hinterlassen, welche 1935 das erste Mal in einem Band mit 500 Seiten, und dazu noch einen Lebensabriß von 130 Seiten zusammen veröffentlicht wurden. In einigen von diesen Briefen hat Burckhardt ein Gedicht hinzugefügt von dem er wahrscheinlich der Überzeugung war dass er damit mehr zum Ausdruck bringen konnte als es mit den Worten die normalerweise in einem Brief verwendet worden wären.
Am 30. August 1878 hat Jacob Burckhardt aus einem Café am Korso in Mailand den hier unten aufgeführten Brief mit Gedicht an den Architekten Max Alioth geschrieben.



"Es ist ein wonniger Regentag, kein bloßer Sprühregen, nein kein Landregen; umsonst hat die Sonne einige infam Versuche gemacht, uns ieder zu kujonieren; es hilft ihr nichts."

Dieser Text wird gefolgt vom

Architekturlied aus Italien

An manchem schönen Vestibül
Verstärkt' ich schon mein Kunstgefühl,
An mancher schönen Stegen ;
es ist ein wahrer Segen.

ich bin in Welschland wohlbekannt,
jetzt durchgeschwitzt und hartgebrannt
Und tu mich nicht genieren,
Krummkrüpplich zu skizzieren.

Denn neben Dir ist alles Tand,
O Du, halb Dreck- halb Götterland,
Wo alls hoch und luftig
(Der Mensch bisweilen schuftig).

Und mein Programm ist bald gesagt :
An allem, was da schwebt und ragt.
Gebälk, Gewölb und Kuppeln
Mich noch recht vollzuschnuffeln,

Damit mir Atem übrigbleibt,
Wenn Basel mir den Angstschweiß treibt
Und enge Häuserreihen
Ob mir zusammen keien ¹.

¹ fallen.

Jacob Burckhardt (1818-1897)
Aus der Ausgabe Briefe (1835)
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Abbildung: Jacob Burckhardt, 1845.