Mittwoch, 31. Oktober 2007
Nikolaus Lenau (1802-1850) — Zwei Herbstgedichte


Herbstlied

Ja, ja, ihr lauten Raben,
Hoch in der kühlen Luft,
's geht wieder ans Begraben,
Ihr flattert um die Gruft!
Die Walder sind gestorben,
Hier, ,dort ein leeres Nest;
Die Wiesen sind verdorben;
O kurzes Freudenfest!
Ich wandre hin und stiere
In diese trübe Ruh',
Ich bin allein und friere,
Und hör' euch Raben zu.
Auch mir ist Herbst, und leiser
Trag' ich den Berg hinab
Mein Bündel dürre Reiser,
Die mir das Leben gab.

Einst sah ich Blüten prangen
An meinem Reiserbund,
Und schone Lieder klangen
Im Laub, das fiel zu Grund.
Die Bürde muß ich tragen
Zum letzten Augenblick;
Den Freuden nachzuklagen,
Ist herbstliches Geschick.
Soll mit dem Rest ich geizen,
Und mit dem Reisig froh
Mir meinen Winker heizen?
Ihr Raben, meint ihr so?
Erinnerungen scharfen
Mir nur des Winters Weh;
Ich mochte lieber werfen
Mein Bündel in den Schnee.


* * * * * *

Herbst

Rings ein Verstummen, ein Entfärben:
Wie sanft den Wald die Lüfte streicheln,
Sein welkes Laub ihm abzuschmeicheln;
Ich liebe dieses milde Sterben.

Von hinnen geht die stille Reise,
Die Zeit der Liebe ist verklungen,
Die Vögel haben ausgesungen,
Und dürre Blätter sinken leise.

Die Vögel zogen nach dem Süden,
Aus dem Verfall des Laubes tauchen
Die Nester, die nicht Schutz mehr brauchen,
Die Blätter fallen stets, die müden.

In dieses Waldes leisem Rauschen
Ist mir als hör' ich Kunde wehen,
daß alles Sterben und Vergehen
Nur heimlich still vergnügtes Tauschen.
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Nikolaus Lenau ist das Pseudonym von Nikolaus Franz Niembsch (ab 1820 Edler von Strehlenau). Er wurde 1802 geboren zu Csatád im Süden Ungarns (heutzutage Rumänien) und starb 1850 in Wien. Noch immer gilt er als einer der größten Lyriker der ganzen Weltlteratur.

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