Montag, 16. August 2010
Weisheiten aus dem umfangreichen Goethe-Schatz (1)
kulturtempel, 22:15h
Das schönste Glück des denkenden Menschen ist, das Erforschliche erforscht zu haben und das Unerforschliche ruhig zu verehren.
In unsers Busens Reine wogt ein Streben,
Sich einem Höhern, Reinern, Unbekannten
Aus Dankbarkeit freiwillig hinzugeben,
Enträtselnd sich den ewig Ungenannten;
Wir heißen's: fromm sein ! —
Freiheit ! Ein schönes Wort, wer's recht verstünde. Was ist des Freisten Freiheit? — Recht zu tun.
Gesetzgeber oder Revolutionärs, die Gleichsein und Freiheit zugleich versprechen, und Phantasien oder Charlatans.
Es ist der Charakter des Deutschen daß sie über allem schwer werden, daß alles über ihnen schwer wird.
Die Deutschen sollten in einem Zeitraum von dreißig Jahren das Wort Gemüt nicht aussprechen, dann würde nach und nach Gemüt sich wieder erzeugen; jetztheißt es nur: Nachsicht mit Schwächen, eignen und fremden.
Der e c h t e Deutsche nezeichnet sich durch mannigfaltige Bildung und Einheit des Charakters.
__________
Abbildung: Johann Wolfgang von Goethe. Gemälde aus 1827 von Julius Ludwig Sebbers (1804-1843).
__________
Noch sieben derartige Weisheiten vom Inbegriff des Universalgenies können Sie lesen auf unserer niederländischsprachigen Schwesterseite Tempel der Wijze Woorden in einem Beitrag gleichfalls von heute.
In unsers Busens Reine wogt ein Streben,
Sich einem Höhern, Reinern, Unbekannten
Aus Dankbarkeit freiwillig hinzugeben,
Enträtselnd sich den ewig Ungenannten;
Wir heißen's: fromm sein ! —
Freiheit ! Ein schönes Wort, wer's recht verstünde. Was ist des Freisten Freiheit? — Recht zu tun.
Gesetzgeber oder Revolutionärs, die Gleichsein und Freiheit zugleich versprechen, und Phantasien oder Charlatans.
Es ist der Charakter des Deutschen daß sie über allem schwer werden, daß alles über ihnen schwer wird.
Die Deutschen sollten in einem Zeitraum von dreißig Jahren das Wort Gemüt nicht aussprechen, dann würde nach und nach Gemüt sich wieder erzeugen; jetztheißt es nur: Nachsicht mit Schwächen, eignen und fremden.
Der e c h t e Deutsche nezeichnet sich durch mannigfaltige Bildung und Einheit des Charakters.
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Abbildung: Johann Wolfgang von Goethe. Gemälde aus 1827 von Julius Ludwig Sebbers (1804-1843).
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Noch sieben derartige Weisheiten vom Inbegriff des Universalgenies können Sie lesen auf unserer niederländischsprachigen Schwesterseite Tempel der Wijze Woorden in einem Beitrag gleichfalls von heute.
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Sonntag, 31. August 2008
Aus Karl Kraus' Jahrmarkt der Gedanken
kulturtempel, 12:52h
Was sich nicht alles entpuppen kann: ein Schurke und ein Schmetterling.
Ein Schein von Tiefe entsteht oft dadurch, daß ein Flachkopf zugleich ein Wirrkopf ist.
Man glaubt gar nicht, wie schwer es oft ist, eine Tat in einen Gedanken umzusetzen!
Die Funktion der Milz muß ähnlich sein wie die der Notare im Staate: notwendig, aber überflüssig.
An vieles was ich erst erlebe, kann ich mich schon erinnern.
Eines der verbreitesten Krankheiten ist die Diagnose.
Wenn der erst wüßte, wie ernst das Leben ist, er würde sich nicht erfrechen, die Kunst heiter zu finden.
Besser, es wird einem nichts gestohlen. Dann hat man wenigstens keine Scherereien mit der Polizei.
Eine Notlüge ist immer verzeilich. Wer aber ohne Zwang die Wahrheit sagt, verdient keine Nachsicht.
Man soll nicht mehr lernen, als man unbedingt gegen das Leben braucht.
Feuilletonisten und Friseure haben gleich viel mit den Köpfen zu schaffen.
Er hatte so eine Art sich in den Hintergrund zu drängen, daß es allgemein Ärgernis erregte.
Wider besseres Wissen die Wahrheit zu sagen, sollte für ehrlos gelten.
Die wahren Wahrheiten sind die, welche man erfinden kann.
Es gibt Schriftsteller, die schon in zwanzig Seiten ausdrücken können, wozu ich manchmal sogar zwei Zeilen brauche.
Nicht alles, wat totgeschwiegen wird, lebt.
Der Teufel ist ein Optimist, wenn er glaubt, daß er die Menschen schlechter machen kann.
Der Historiker ist nicht immer ein rückwärts gekehrter Prophet, aber der Journalist ist immer einer, der nachher alles vorher gewußt hat.
Zu allen Dingen lasse man sich Zeit; nur nicht zu den ewigen.
Die Unsterblichkeit ist das einzige, was keinen Aufschub verträgt.
____________
Erlaubt ist, was mißfällt — Karl Kraus zum Vergnügen.
Herausgegeben von Günter Baumann. Mit 12 Abbildungen. Reclams Universal-Bibliothek 18467. Philipp Reclam jun. Stuttgart, 2007. ISBN 978-3-15-018467-7. Preis € 4,—
____________
Abbilldungen
1. Karl Kraus (1874-1936) 1901.
2. Vorderseite des Reclam-Bändchens aus 2007: Vergnügliches aus Karl Kraus' umfangreichem Oeuvre.
Ein Schein von Tiefe entsteht oft dadurch, daß ein Flachkopf zugleich ein Wirrkopf ist.
Man glaubt gar nicht, wie schwer es oft ist, eine Tat in einen Gedanken umzusetzen!
Die Funktion der Milz muß ähnlich sein wie die der Notare im Staate: notwendig, aber überflüssig.
An vieles was ich erst erlebe, kann ich mich schon erinnern.
Eines der verbreitesten Krankheiten ist die Diagnose.
Wenn der erst wüßte, wie ernst das Leben ist, er würde sich nicht erfrechen, die Kunst heiter zu finden.
Besser, es wird einem nichts gestohlen. Dann hat man wenigstens keine Scherereien mit der Polizei.
Eine Notlüge ist immer verzeilich. Wer aber ohne Zwang die Wahrheit sagt, verdient keine Nachsicht.
Man soll nicht mehr lernen, als man unbedingt gegen das Leben braucht.
Feuilletonisten und Friseure haben gleich viel mit den Köpfen zu schaffen.
Er hatte so eine Art sich in den Hintergrund zu drängen, daß es allgemein Ärgernis erregte.
Wider besseres Wissen die Wahrheit zu sagen, sollte für ehrlos gelten.
Die wahren Wahrheiten sind die, welche man erfinden kann.
Es gibt Schriftsteller, die schon in zwanzig Seiten ausdrücken können, wozu ich manchmal sogar zwei Zeilen brauche.
Nicht alles, wat totgeschwiegen wird, lebt.
Der Teufel ist ein Optimist, wenn er glaubt, daß er die Menschen schlechter machen kann.
Der Historiker ist nicht immer ein rückwärts gekehrter Prophet, aber der Journalist ist immer einer, der nachher alles vorher gewußt hat.
Zu allen Dingen lasse man sich Zeit; nur nicht zu den ewigen.
Die Unsterblichkeit ist das einzige, was keinen Aufschub verträgt.
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Erlaubt ist, was mißfällt — Karl Kraus zum Vergnügen.
Herausgegeben von Günter Baumann. Mit 12 Abbildungen. Reclams Universal-Bibliothek 18467. Philipp Reclam jun. Stuttgart, 2007. ISBN 978-3-15-018467-7. Preis € 4,—
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Abbilldungen
1. Karl Kraus (1874-1936) 1901.
2. Vorderseite des Reclam-Bändchens aus 2007: Vergnügliches aus Karl Kraus' umfangreichem Oeuvre.
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Sonntag, 3. August 2008
Zeit ist wie Ewigkeit und Ewigkeit wie Zeit, und andere 'geistreiche Sinn- und Schlußreime' von Angelus Silesius
kulturtempel, 11:51h
Ich weiß nicht, was ich bin, ich bin nicht, was ich weiß:
Ein Ding und nicht ein Ding: ein Tüpfchen und ein Kreis.
Mensch, wo du deinen Geist schwingst über Ort und Zeit,
So kannst du jeden Blick sein in der Ewigkeit.
Mensch, wo du noch was bist, was weißt, was liebst und hast,
So bist du, glaube mir, nicht ledig deiner Last.
Tod ist ein selig Ding: je kräftiger er ist,
Je herrlicher daraus das Leben wird erkiest.*
[* — hier: erkoren]
Indem der weise Mann zu tausendmalen stirbt,
Er durch die Wahrheit selbst um tausend Leben wirbt.
Ich lieb ein einzig Ding und weiß nicht, was es ist:
Und weil ich es nicht weiß, drum hab ich es erkiest.
Wer nichts begehrt, nichts hat, nichts weiß, nichts liebt, nichts will,
Der hat, der weiß, begehrt und liebt noch immer viel.
Zeit ist wie Ewigkeit un Ewigkeit wie Zeit,
So du nur selber nicht machst einen Unterscheid.
Was martest du das Erz; der Eckstein ist's allein,
Indem Gesundheit, Gold und alle Künste sein.
Wer in der Sonnen ist, dem mangelt nicht das Licht,
Das dem, der außer ihr verirret geht, gebricht.
Ein Auge, das sich nie der Lust des Sehns entbricht,
Wird endlich gar verblend't und sieht sich selbsten nicht.
Das Wort, das dich und mich und alle Dinge trägt,
Wird wiederum von mir getragen und gehegt.
Der Mensch ist alle Ding: ist's, daß ihm eins gebricht,
So kennet er fürwahr sein Reichtum selber nicht.
Du sprichst, m Firmament sei eine Sonn allein:
Ich aber sage, daß viel tausend Sonnen sein.
Mensch, wo du ledig bist, das Wasser quillt aus dir
Sowohl als aus dem Brunn der Ewigkeit herfür.
Die Weisheit find't sich gern wo hre Kinder sind.
Warum? O Wunderding: sie selber ist ein Kind.
Die Weisheit schauet sich in ihrem Spiegel an.
Wer ist's? Sie selber, und wer Weisheit werden kann.
Man red't von Zeit und Ort, von Nun und Ewigkeit:
Was ist denn Zeit und Ort und Nun und Ewigkeit?
Ich ward das, was ich war, und bin, was ich gewesen,
Und werd es ewig sein, wenn Leib und Seel genesen.
Der Ort und 's Wort ist eins, und wäre nicht der Ort,
Bei ew'ger Ewigkeit, es wäre nicht das Wort.
Abbildungen
1. Angelus Silesius hieß mit bürgerlichem Namen Johannes Scheffler (1624-1677).
2. Vorderseite der Ausgabe, 1960 erschienen in der Reihe Goldmanns Gelbe Taschenbücher mit damals noch einem Leinenrücken. Damals hat die Ausgabe 2 Mark gekostet, eine Liebhaberausgabe in Leinen vom selben Verlag hat DM 8,50 gekostet.
Die Taschen-Ausgabe fand ich 1994 in einem niederländischen 'Kreislaufladen' zwischen vielen hunderten schlimm-billigen Taschenbüchern sowie 'Altpapier' für den Preis von zehn (NL-Gulden)Cent. Im vergangenen Jahr fand ich bei den abgeschriebenen Büchern eines Antiquariats in meiner Stadt die gebundene, noch völlig neue Ausgabe für einen halben Euro.
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