Montag, 27. Oktober 2008
Nikolaus Lenau (1802-1850) — Herbstgefühl
H E R B S T G E F Ü H L

Mürrisch braust der Eichenwald,
Aller Himmel ist umzogen.
Und dem Wandrer rauh und kalt
Kommt der Herbstwind nachgeflogen.

Wie der Wind zu Herbsteszeit
Mordend hinaust in den Wäldern,
Weht mir die Vergangenheit
Von des Glückes Stoppelfeldern.

An den Bäumen welk und matt,
schwebt des Laubes letzte Neige,
Niedertaumelt Blatt auf Blatt
Und verhüllt die Waldessteige;

Immer dichter fállt es, will
Mir den Reisepfad verderben,
Daß ich lieber halte still,
Gleich am Orte hier zu sterben.

Nikolaus Lenau (1802-1850)
Aus Sämtliche Werke

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Johann Gaudenz von Salis-Seewis: Herbstlied
H E R B S T L I E D

Bunt sind schon die Wälder,
Gelb die Stoppelfelder;
Und der Herbst beginnt!
Rote Blätter fallen;
Graue Nebel wallen;
Kühler weht der Wind!

Wie die volle Traube,
Aus dem Rebenlaube,
Purpurfarbig strahlt!
Am Geländer reifen
Pfirsiche, mit Streifen,
Rot und weiß, bemalt!

Dort, im grünen Baume
Hängt die blaue Pflaume,
Am gebognen Ast.
Gelbe Birnen winken,
Daß die Zweige sinken
Unter ihrer Last.

Welch ein Apfelregen
Rauscht vom Baum! Es legen
In ihr Körbchen sie
Mädchen, leicht geschürzet,
Und ihr Röckchen kürzet
Sich bis an das Knie.

Winzer, füllt die Fässer!
Eimer, krumme Messer,
Butten sind bereit!
Lohn für Müh und Plage
Sind, die frohen Tage
In der Lesezeit!

Unsre Mädchen singen,
Und die Träger springen;
Alles ist so froh:
Bunte Bänder schweben,
Zwischen hohen Reben,
Auf dem Hut von Stroh.

Geige tönt und Flöte,
Bei der Abendröte,
Und bei Mondenglanz:
Schöne Winzerinnen
Winken und beginnen
Deutschen Ringeltanz!

Johann Gaudenz von Salis-Seewis (1762-1834)
Aus Gedichte.
Gesammelt durch seinen Freund Friedrich Matthisson.
(Zürich 1797.)

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