Dienstag, 2. September 2008
Hugo von Hofmannsthal: Die Frau ohne Schatten — Fragment eines Gedichts aus 1915
Da in diesem Monat September in den Niederlanden — im Musiktheater Amsterdam — es acht mal eine Vorstellung einer Neuinszenierung der Niederländischen Oper vom Richard Strauss'chen Musiktheater-Opus Die Frau ohne Schatten aus 1919 geben wird — dazu mehr in unserem nächsten Beitrag —, schien es uns ein guter Gedanke zu sein Ihre Aufmerksamkeit für das Hofmannsthal'sche Gedicht — das vier Jahre früher entstanden ist als seine gleichnamige Erzählung — in Anspruch zu nehmen und ihnen nebenbei eine kleinere, schöne Sammlung von Gedichten dieses Autors ans Herz zu legen.
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DIE FRAU OHNE SCHATTEN (Auszug — 1915)

Die Ungeborenen

Hört, wir gebieten euch:
Ringet und traget,
daß unser Lebenstag
herrlich uns taget!
Wasihr an Prüfungen
standhaft durchleidet,
uns ists zu strahlenden
Kronen geschmeidet!
. . .

Vater, dir drohet nichts,
siehe, es schwindet schon,
Mutter, das Ängstliche,
das euch beirrte.

Wäre denn je ein Fest,
wären nicht insgeheim
wir die Geladenen,
wir auch die Wirte!
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Hugo von Hofmannsthal:
Die scheue Schönheit kleiner Dinge — Gedichte.
Auswahl und herausgegeben von Dorothea Tetzel von Rosador.
160 Seiten, kleiner Paperback; Deutscher Taschenbuch Verlag, München, 2004.
ISBN 978-3-423-13256-6. Preis € 7,50.

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Sonntag, 17. August 2008
Ludwig Uhlands Gedicht Der gute Kamerad aus 1809

Vor fast genau zwei Jahrhunderten, im Jahre 1809 — in der Periode (1801-1810) als er noch Rechtswissenschaften und Philologie an der Universität Tübingen studierte — hat Ludwig Uhland (1787-1862) sein Gedicht Der gute Kamerad geschrieben. Oben haben wir es in der Facsimile seiner Handschrift übernommen aus dem Buch Deutsche Gedichte in Handschriften das wir auch schon für den vorangegangen Artikel mit der Facsimile-Handschrift von Rainer Maria Rilke benutzt haben.
Ludwig Uhland war mit vierzehn Jahren Student, etwas das es in unserer Zeit nur als besondere Ausnahme gibt, jedoch in der Phase der Geschichte der deutschen Hochschulen nicht als außergewöhnlich galt. Nachdem er 1810 sein Dr. jur. erhalten hat, begab er sich nach Paris um dort altdeutsche sowie altfranzösische Handschriften zu studieren. Nach seiner Rückkehr ließ er sich Als Anwalt in Tübingen nieder. Schon während seiner Studienzeit hatte er die Bekanntschaft mehrerer bekannten Persönlichkeiten gemacht, unter denen Justinus Kerner (1786-1862), Karl August Varnhagen (1785-1858) sowie Adam Oehlenschläger (1779-1850), nach der Studienzeit kreuzten Adalbert von Chamisso (1781-1838) und Gustav Schwab (1792-1850) seinen Weg.
Eine Zeit lang war Uhland Sekretär im Justzministerium zu Stuttgart, doch ab 1814 hat er wiederum als Anwalt in Stuttgart praktiziert. Als liberaler Abgenordneter hatte er einen Sitz im württembergischen Landtag, zuerst für Tübingen, später für Stuttgart.
Von 1829 an war er Professor für Sprache und Litertur in Tübingen, einen Posten den er 1833 aufgeben mußte weil er in Opposition zur Regierung stand. Ab 1839 war er als Privatgelehrter in ansässig, ab 1848 als in der Frankfurter Paulskirche die erste Nationalversammlung abgehalten wurde, bekam er ein Mandat als abgeordneter der Liberalen.
Als Dichter muß man Ludwig Uhland — der sich der regional-schwäbischen Folklore mit biedermeierlichen Zügen verschrieben hat — der Spätromantik zurechnen. Seine Gedichte zeichnen sich aus durch ihre Feinsinnigkeit; viele davon sind sehr musikalisch geprägt, sowie von einer allgemeinen Gültigkeit, die weit über das persönliche Empfinden des Dichters hinausgehen.
Seine Bühnenarbeit war zwar wenigewr erfolgreich, dagegen hat Ludwig Uhland größe Verdienste für die Wiederbelebung mittelhochdeutscher Dichtung und für die Sagenforschung und wissenschaftlich fundierte Kommentare zu Volksliedsammlungen.


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Abbildungen
1. Facsimile des Gedichts aus 1809.
2. Ludwig Uhland, hier auf einem Gemälde aus 1818, von Gottlieb Wilhelm Morff (1771-1857).
3. Vorderseite der 64. Auflage der Gedichte, 1884 vom Verlag der J.G. Cotta'schen Buchhandlung publiziert.
4. Dasselbe Gedicht aus der unter 3 genannten Ausgabe.

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Donnerstag, 14. August 2008
Sonnett XXIX aus dem Zweiten Teil der Sonnette an Orpheus in Rainer Maria Rilkes eigener Handschrift
Speziell für die Feuerlibelle in Wien

Immer noch sehr beliebt
Aus Erfahrung wissen wir dass wir vielen unserer Leser eine Freude bereiten indem wir hier noch einmal einen Beitrag mit einem Gedicht von Rainer Maria Rilke (1874-1926) veröffentlichen. In dem sogenannten Top 25 — in unserem Fall geht es dabei um die 25 am meisten gelesenen Artikel dieser Webseite Kulturtempel — kommt dreimal ein Beitrag mit Rilke-Gedichten vor; schon an zweiter Stelle stehen Herbstgedichte dieses Autors die wir am 24. September vergangenen Jahres hier veröffentlicht haben, und an vierter Stelle noch einmal und zwar die anderen Herbstgedichte die wir Ihnen am 11. Oktober 2007 vorgestellt haben.
Heute zeigen wir erst einmal ein Gedicht in der persönlichen Handschrift Rainer Maria Rilkes, darunter folgt dasselbige noch einmal in Druckschrift.



Dieses Facsimile stammt aus einem Buch mit 45 solcher Beispiele — von Martin Luther bis Johann Martin Usteri — das im Insel-Verlag zu Leipzig vor etwa 70 jahren zum ersten mal erschienen ist unter dem Titel Deutsche Gedichte in Handschriften. Das Auffällige für die jüngeren Leser wird sein dass die damalige Redaktion nur sechs der abgedrukten Facsimiles im Anhang in Druckform beigegeben hat, und zwar als Fraktur, da man die übrigen nicht 'näher 'erklärten' Gedichte für gut leserlich gehalten hat.



Stiller Freund der vielen Fernen, fühle,
wie dein Atem noch den Raum vermehrt.
Im Gebälk der finstern Glockenstühle
laß dich läuten. Das was an dir zehrt,

wird ein Starkes über dieser Nahrung.
Geh in der Verwandlung aus und ein.
Was ist deine leidenste Erfahrung?
Ist dir Trinken bitter, werde Wein

Sei in dieser Nacht aus Übermaß
Zauberkraft am Kreuzweg deiner Sinne,
ihrer seltsamen Begegnung Sinn.

Und wenn dich das Irdische vergaß,
zu der stillen Erde sag: Ich rinne.
Zu dem raschen Wasser sprich: Ich bin.

AUS Die Sonnette an Orpheus Zweiter Teil, letztes Sonnett: XXIX (1922).

NB: Auf meiner niederländischen Literaturseite Tempel der Letteren findet man einen weiteren Facsimile-Beitrag mit einem Gedicht von Novalis. http://tempelderletteren.blogspot.com/2008/08/facsimile-van-een-novalis-gedicht-in.html
In Belgien habe ich, gleichfalls auf einer niederländischsprachigen Kulturseite namens Cultuurspectrum, aus demselben Buch ein Goethe-Gedicht veröffentlicht. Man kann das finden unter
http://blog.seniorennet.be/cultuurspectrum/archief.php?ID=86395

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Freitag, 8. August 2008
Gedichte von Rudolf Binding (1867-1938) -1-
Astronomisches Gespräch

Sieh den Mond mit schlanken Sichelarmen
glühend zucken nach de schönsten Sterne.
Süße Ferne,
wo Gestirne liebend sich umarmen!

»Meinst du gar sie werden sich erreichen?
Wird der junge Mond den Stern umfangen?
Hold Verlangen,
fern von dir zu stehen, dem Stern zu gleichen!«

Menschenaugen werden's nicht erspähen.
Doch im Licht des Tages scheu verborgen
mag der Morgen
der uns trennt sie bei einader sehen.

Und wenn Tag mit flammenden Alarmen
auf mich scheucht vom Lager der Geliebten
liegen wohl im Ungetrübten
Mond und Stern sich liebend in den Armen.

»Freund, so laß mich lieber dich umschlingen.
Gib den Tag als Mantel den Gestirnen.
Von den Firnen
schwand das Licht um uns die Nacht zu bringen.«

RUDOLF GEORG BINDING (13.8.1867—4.8.1938)
Aus: Tag der Liebe

Mehr von Rudolf Binding, in diesem Fall betrifft es eine Reihe Aphorismen über den gespiegelten Menschen, finden Sie auf meiner niederländischen Kulturwebseite Tempel der Wijze Woorden — auf der allerhand an Weisheiten in einigen europäischen Sprachen gesammelt wird — unter
http://tempelderwijzewoorden.blogspot.com/

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Dienstag, 1. Juli 2008
Rainer Maria Rilkes Sommerabend


SOMMERABEND

Die große Sonne ist versprüht,
der Sommerabend liegt im Fieber,
und seine heiße Wange glüht,
Jach seufzt er auf: »Ich möchte lieber . . .«
Und wieder dann: »Ich bin so müd . . .«

Die Büsche beten Litanein,
Glühwürmchen hangt, das regungslose,
dort wie ein ewiges Licht hinein;
und eine kleine weiße Rose
trägt einen roten Heiligenschein.

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Rainer Maria Rilke: Larenopfer 1895
In: Die Gedichte
Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig, 2006
Sonderausgabe, 892 Seiten Dünndruck, Leinen
ISBN 3-458-17333-1; Preis € 15,—.

Sehen Sie dazu auch unsere Beiträge über einige Herbstgedichte aus der Feder dieses Poeten:
http://kulturtempel.blogger.de/stories/919302/
sowie
http://kulturtempel.blogger.de/stories/935800/
und zu einigen Gedichten aus seinem Buch der Bilder:
http://kulturtempel.blogger.de/stories/1005598/
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Abbildung: Rainer Maria Rilke — Karikatur von Emil Orlik.

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Dienstag, 15. Januar 2008
Zwei Wintergedichte von Matthias Claudius (1740-1815)
AN DEN WINTER

So, du lieber Winter, sei milde!
Ach, sonst frieren
Viele arme Menschen tot.

Sie haben so schon gnug der Not! —
Winter, laß dich rühren
Und blicke sanft und freundlch durch die Gefilde!
Lieber Winter, sei milde!

[1772, Aus dem Wandsbecker Bothen 1771-75]

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EIN LIED
hinterm Ofen zu singen

Der Winter ist ein rechter Mann,
Kernfest und auf die Dauer;
Sein Fleisch fühlt sich wie Eisen an,
Und scheut nicht süß noch sauer.

War je ein Mann gesund, ist er's!
Er krankt und kränkelt nimmer,
Weiß nichts von Nachtschweiß noch Vapeurs,
Und schläft im kalten Zimmer.

Er zieht sein Hemd im Freien an
Und läß's vorher nicht wärmen;
Und spottet über Fluß im Zahn
Und Kolik in Gedärmen.

Aus Blumen und aus Vogelsang
Weiß er sich nichts zu machen,
Haßt warmen Drang und warmen Klang
Und alle warmen Sachen.

Doch wenn die Füchse bellen sehr,
Wenn's Holz im Ofen knittert,
Und um den Ofen Knecht und Herr
Die Hände reibt und zittert;

Wenn Stein und Bein vor Frost zerbricht,
Und Teich' und Seen krachen;
Das klingt ihm gut, das haßt er nicht,
Denn er will sich tot lachen. —

Sein Schloß von Eis liegt ganz hinaus
Beim Nordpol an dem Strande;
Doch hat er auch ein Sommerhaus
Im lieben Schweizerlande.

Da ist er denn bald dort, bald hier,
Gut Regiment zu führen.
Und wenn er durchzieht, stehen wir
Und sehn ihn an und frieren.

[Aus dem Wandsbecker Bothen Vierter Theil, Wandsbeck, 1782.
Beym Verfasser.]

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Mittwoch, 2. Januar 2008
Zwei deutschsprachige Winternacht-Gedichte
WINTERNACHT
Nicht ein Flügelschlag ging durch die Welt,
Still und blendend lag der weiße Schnee,
Nicht ein Wölklein hing am Sternenzelt,
Keine Welle schlug im starren See.

Aus der Tiefe stieg der Seebaum auf,
Bis sein Wipfel in dem Eis gefror;
An den Ästen klomm die Nix herauf,
Schaute durch das grüne Eis empor.

Auf dem dünnen Glase stand ich da,
Das die schwarze Tiefe von mir schied;
Dicht ich unter meinen Füße sah,
Ihre weiße Schönheit Glied für Glied.

Mit ersticktem Jammer tastet' sie
An der harten Ecke her und hin.
Ich vergaß das dunkle Antlitz nie,
Immer, immer liegt es mir im Sinn.
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Gottfried Keller (1819-1890)
Aus: Sämtliche Gedichte
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WINTERNACHT

Cellolied

Ich schlafe tief in stiller Winternacht
Mir ist, ich lieg in Grabesnacht,
Alsob ich spät um Mitternacht gestorben sei
Und schon ein Sternenleben tot.

Zu meinem Kinde zog mein Glück
Und alles Leiden in das Leid zurück.
Nur meine Sehnsucht sucht sich heim
Und zuckt wie zähes Leben
Und stirbt.

Ich schlafe tief in starrer Winternacht,
Mir ist, ich lieg in Grabesnacht.

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Else Lasker-Schüler (1869-1945)
Aus: Sämtliche Gedichte.
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Abbildungen
1. Der Schweizer Dichter Gottfried Keller in 1886. Porträt vom schweizer Maler Karl Stauffer-Bern (1857-1891).
2. Die Dichterin Else Lasker-Schüler.

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