Sonntag, 4. November 2007
Félicien Rops: Etüde als Vorspiel — Eine Karikatur
Der Belgische Künstler Félicien Rops (1833-1898) — Maler, Zeichner und Karikaturist — wird gelegentlich noch hingestellt als jemand mit satanischen und teils pornographischen Elementen in seinem Oeuvre. So weit es sich handelt um die hier abgebildete, nackte Dame — die eine Etude spielt —, kann man sagen dass diese Karikatur, die wir übernommen haben aus einem Buch aus 1907 über die Frau in der Französischen Karikatur — über das wir später noch berichten werden — nicht im geringsten etwas pornographisches vorstellt, auch wenn so manch einer das vor einem halben Jahrhundert etwas anders gesehen haben mag. Jedenfalls wurde diese Karikatur noch im 19. Jahrhundert angefertigt.
Bei all diesen karikaturistischen Elementen in der Abbildung darf jedoch nicht vergessen werden dass das Nackte in den bildenden Künsten in erster Linie, jeoch nicht ohne Ausnahmen, einen symbolischen Charakter hat. Wenn man eine Karikatur wie Die Etüde genau betrachtet, muss man feststellen dass sie polyinterpretabel ist.

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Samstag, 3. November 2007
Offenbachs Erfolgsoper Hoffmanns Erzählungen elf mal bei der niederländischen Nationale Reisopera

Neue Produktion
Heute, wird die niederländische Nationale Reisopera im eigenen Hause, die Twentse Schouwburg zu Enschede — im Osten des Landes, nahe an der deutsch/niederländischen Grenze — eine neue Produktion vorstellen von Hoffmanns Erzählungen von Jacques Offenbach (1819-1880). Nach dieser Premiere, bis zum 8. Dezember, werden noch zehn weitere Vorstellungen folgen in ebensovielen niederländischen Städten.
Es wird zwar Französisch gesungen, doch das ganze wird mit einer niederländischen Übertragung oberhalb der Bühne versehen.


Der an Gicht leidende Komponist hat die Premiere, am 10. Februar 1881 leider nicht mehr miterleben können, da er in der Nacht vom 4. auf den 5. Oktober 1880 verstorben ist. Die Partitur war sogar unvollendet, doch die Erben haben Ernest Giraud — der zuvor auch George Bizets Carmen fertiggestellt hat — gebeten eine Bearbeitung vorzunehmen die dazu führt dass das Werk aufgeführt werden konnte.

Vokale und instrumentale Ausführende
Es singt der Chor der Nationale Reisopera, es spielt das Orkest van het Oosten Enschede, Dirigent ist William Lacey.
Die Solisten sind:
Hoffmann ― Gordon Gietz (T)
Nicklausse ― Judith Gennrich (S)
Lindorf / Coppélius / Dr. Miracle / Dapertutto ―
Franco Pomponi (B)
Cochenille / Frantz / Pitichinaccio ― Steven Tharp (T)
Olympia / Antonia / Giulietta ―Sally Silver (S)
La voix de la mère d’Antonia ― Elizabeth Sikora
Nathanaël ― Erik Slik (T)
Hermann /Schlémil ― Mattijs van de Woerd (B)
Crespel ― Jacques Does
Spalanzani ― Harry Nicoll

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Freitag, 2. November 2007
Georg Trakl (1887-1914) — Kleines Konzert
KLEINES KONZERT

Ein Rot, das traumhaft dich erschüttert –
Durch deine Hände scheint die Sonne.
Du fühlst dein Herz verrückt vor Wonne
Sich still zu einer Tat bereiten.

Im Mittag strömen gelbe Felder.
Kaum hörst du noch der Grillen singen.
Der Mäher hartes Sensenschwingen.
Einfältig schweigen goldene Wälder.

Im grünen Tümpel glüht Verwesung.
Die Fische stehen still. Gotts Odem
Weckt sacht ein Saitenspiel im Brodem.
Aussätzigen winkt die Flut Genesung.

Geist Dädals schwebt in blauen Schatten.
Ein Duft von Milch in Haselzweigen.
Man hört noch lang den Lehrer geigen,
Im leeren Hof den Schrei der Ratten.

Im Krug an scheusslichen Tapeten
Blühn kühlere Violenfarben
Im Hader dunkle Stimmen starben,
Narziss im Endakkord von Flöten.

GEORG TRAKL (1887-1914)




Georg Trakl: Das dichterische Werk
Auf Grund der historisch-kritischen Ausgabe von Walter Killy und Hans Szklenar.
Mit einem Anhang von Friedrich Kur;
336 pag., paperback, dtv 12496
(17. Auflage 2005)
Deutscher Taschenbuch Verlag, München
ISBN 3-423-12496-2. Preis € 10,—.







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Donnerstag, 1. November 2007
Martin Luther — Wer sich die Musik erkiest


Wer sich die Musik erkiest,
hat ein himmlisch Gut gewonnen,
denn ihr erster Ursprung ist
von den Himmeln hergekommen,
weil die lieben Engelein
selber Musikanten sein!



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Martin Luther (1483-1546), hier
auf einem Gemälde aus 1529 von
Lucas Cranach senior (1472-1553).

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Mittwoch, 31. Oktober 2007
Nikolaus Lenau (1802-1850) — Zwei Herbstgedichte


Herbstlied

Ja, ja, ihr lauten Raben,
Hoch in der kühlen Luft,
's geht wieder ans Begraben,
Ihr flattert um die Gruft!
Die Walder sind gestorben,
Hier, ,dort ein leeres Nest;
Die Wiesen sind verdorben;
O kurzes Freudenfest!
Ich wandre hin und stiere
In diese trübe Ruh',
Ich bin allein und friere,
Und hör' euch Raben zu.
Auch mir ist Herbst, und leiser
Trag' ich den Berg hinab
Mein Bündel dürre Reiser,
Die mir das Leben gab.

Einst sah ich Blüten prangen
An meinem Reiserbund,
Und schone Lieder klangen
Im Laub, das fiel zu Grund.
Die Bürde muß ich tragen
Zum letzten Augenblick;
Den Freuden nachzuklagen,
Ist herbstliches Geschick.
Soll mit dem Rest ich geizen,
Und mit dem Reisig froh
Mir meinen Winker heizen?
Ihr Raben, meint ihr so?
Erinnerungen scharfen
Mir nur des Winters Weh;
Ich mochte lieber werfen
Mein Bündel in den Schnee.


* * * * * *

Herbst

Rings ein Verstummen, ein Entfärben:
Wie sanft den Wald die Lüfte streicheln,
Sein welkes Laub ihm abzuschmeicheln;
Ich liebe dieses milde Sterben.

Von hinnen geht die stille Reise,
Die Zeit der Liebe ist verklungen,
Die Vögel haben ausgesungen,
Und dürre Blätter sinken leise.

Die Vögel zogen nach dem Süden,
Aus dem Verfall des Laubes tauchen
Die Nester, die nicht Schutz mehr brauchen,
Die Blätter fallen stets, die müden.

In dieses Waldes leisem Rauschen
Ist mir als hör' ich Kunde wehen,
daß alles Sterben und Vergehen
Nur heimlich still vergnügtes Tauschen.
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Nikolaus Lenau ist das Pseudonym von Nikolaus Franz Niembsch (ab 1820 Edler von Strehlenau). Er wurde 1802 geboren zu Csatád im Süden Ungarns (heutzutage Rumänien) und starb 1850 in Wien. Noch immer gilt er als einer der größten Lyriker der ganzen Weltlteratur.

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Montag, 29. Oktober 2007
Franz Grillparzer — Musikalisch, in mancher Hinsicht

Musikalisch

Ein Dilettant freut sich zu Haus
An seinem eigenen Geklimper
Doch tritt seine Kunst in die Welt hinaus
Veredelt er sich zum Stümper

Franz Grillparzer (1791-1872)





Derselbe Dichter schrieb auch die Rede am Grabe Beethovens, die im Herbst 1827 — der Komponist war im März jenes Jahres verstorben — vom Schauspieler Heinrich Anschütz ausgesprochen wurde aus Anlass der Enthüllung des Beethoven-Denkmals auf dem Friedhof von Währing.
Grillparzer hat viele Gedanken über alle Künste zu Papier gebracht, in erster Linie in seinen Tagebüchern. Die formulierten Gedanken sind 'Produkte' der intelligenten Zwiesprache, die Grillparzer mit sich selbst geführt hat.
Eins daraus, wiederum über das Phänomen Musik, möchten wir hier noch zitieren:

"Es ist mir schon oft eingefallen, unsere Tonkünstler mit den Schöpfungstagen zu vergleichen. Das Chaos — Beethoven. Es werde Licht! — Cherubini. Es entstehen Berge! (große, aber sehr unbeholfene Massen) — Joseph Haydn. Singvögel aller Art — die italienische Schule. . . Der Mensch — Mozart."

Dieser große Wiener Musiker hat den Schriftsteller
Grillparzer auch weiterhin inspiriert:

Wenn man das Grab nicht kennt, in dem er Ruh erworben,
Wen, Freunde, ängstet das? Ist er doch ncht gestorben!
Er lebt in aller Herzen, aller Sinn
Und schreitet jetzt durch unsre Reihen hin.

Deshalb dem Lebenden, der sich am Dasein freute,
Ihm sei kein leblos Totenopfer heute.
Hebt auf das Glas, das Mut und Frohsinn gibt,
Und sprecht, es leerend, wie er's selbst geliebt:

»Dem goßen Meister in dem Reich der Töne,
Der nie zu wenig tat und nie zu viel.
Der stets erreicht, nie überschritt sein Ziel,
as mit ihm eins und wenig war: Das Schöne!«
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Die Mozart-Zeichnung ist aus 1984 und stammt aus der Feder von Jarko Aikens, (Groningen, Niederlande). Archiv Heinz Wallisch.

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Mittwoch, 17. Oktober 2007
Der Geiger Shlomo Mintz auf Jubiläums-Tournee mit Opus 1 vom Italiener Niccolò Paganini

Der Geiger auf Tournee
Aus Anlass seines fünfzigsten Geburtstages am 30. Oktober wird der in Moskou geborene Israelische Geiger Shlomo Mintz eine Weltournee machen mit den 24 Capricci Opus 1, aus ca. 1805 vom italienischen Komponisten von Violinmusik Niccolò Paganini (1782-1840). Diese Komposition ist wohl als die Hohe Schule der Violinmusik anzusehen. Am kommenden Sonntag, 21. Oktober, wird das Konzert in Amsterdam gegeben im Musiktempel aus dem Ende des 19. Jahrhunderts, dem weltberühmten Concertgebouw.
An diesem Abend wird dort auch zum ersten mal die gerade erschienene, doch offiziell erst im November erhältliche, dvd mit Paganini's Opus 6 verkauft.

Aufname aus 1997
Vor zehn Jahren hatte Shlomo Mintz das große Glück auf der Geige genannt Il Cannone zu spielen, was einmal in Jahr einem hervorragenden Geiger von Weltrang gestattet wird. Die Konfrontation zu Genua, wo sich dieses Instrument befindet — eine Guarneri del Gesù aus 1743, vom Komponisten am liebsten gespielt, und bei Testament der Stadt Genua vermacht — in einer versiegelten Vitrine aufbewahrt wird, kann man auf der dvd miterleben, genauso wie die strengsten bewachte Reise nach Maastricht in den Niederlanden, wo Shlomo Mintz am 6. Septembr 1997 das Konzert Nr. 1, opus 6, aus den Jahren 1817/1818, mit dem niederländischen Limurgs Symfonie Orkest unter der Leitung von Yoel Levi aufgeführt hat.



Die niederländische Sendeanstalt Tros ist Mitproduzent dieser Ausgabe. Das ganze ist ein schönes Geschenk für den Geiger, und ebenfalls für alle Liebhaber der Violinmusik von Paganini.
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Niccolò Paganini: Violin Concerto Nr. 1, opus 6 (1817/18) — Shlomo Mintz, violin: Paganini's Il Cannone aus Cremona 1743; Limburgs Symfonie Orkest, Dirigent Yoel Levi (1997); Challenge Classics-dvd CC72197 (November 2007; Verkauf startet am 21. Oktober im Amsterdamer Concertgebouw.)
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Das Foto von Shlomo Mintz wurde übernommen vom Umschlag der Paganini-dvd; die Paganini-Zeichnung aus 1985 ist eines der vielen Komponistenporträts von Jarko Aikens, Groningen, Niederlande; aus dem Archiv von Heinz Wallisch.

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Freitag, 12. Oktober 2007
Bilder und Zeilen aus einem Poesie-Album von 1888/89

Am 25. Januar 1889 hat eine gewisse Selma Kitte in Ebersbach im Poesie-Album Ihrer Freundin einen reimenden Vierzeiler geschrieben, gefolgt von der Mitteilung 'Zur Erinnering an...', sowie vom Namen des Ortes und dem Datum.
Die geschriebenen Zeilen stehen, versehen mit einem Mini-Bildchen auf der rechten Seite des Albums, auf der gegenüberliegenden Seite hat entweder die Eigentümerin oder die Freundin drei schöne farbige Bilder eingeklebt, die inzwischen etwahin zwölf Jahrzehnte gut überstanden haben.

Für diejenigen die diese Handschrift aus dem Ende des inzwischen vor-vorigen Jahrhundert nicht lesen können, folgt hier der Text:

Dein Leben sei fröhlich und heiter

Kein Leiden betrübe dein Herz

Das Glück sei stets dein Begleiter

Nie treffe dich Kummer und Schmerz.








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Freitag, 12. Oktober 2007
Herbstgedichte von Rainer Maria Rilke (2)
Herbststimmung

Die Luft ist lau, wie in dem Sterbezimmer
an dessen Türe schon der Tod steht still;
auf nassen Dächern liegt einblasser Schimmer,
wie der der Kerze, die verlöschen will.

Das Regenwasser röchelte in den Rinnen,
der matte Wind hält Blätterleichenschau; —
und wie ein Schwarm gescheuchter Bekassinen
ziehn bang die kleinen Wolken durch das Grau.

Aus: Larenopfer, 1895

Herbst-Abend

Wind aus dem Mond,
plötzlich ergriffene Bäume
und ein tastend fallendes Blatt.
Durch die Zwischenräume
drängt die schwarze Landschaft der Fernen
in die unentschlossene Stadt.

Aus: Die Gedichte 1906 bis 1910
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Herbst

Oh hoher Baum des Schauns, der sich entlaubt:
nun heißts gewachsen sein dem Übermaße
von Himmel, das durch seine Äste bricht.
Erfüllt vom Sommer, schien er tief und dicht,
und beinah denkend, ein vertrautes Haupt.
Nun wird sein ganzes Innere zur Straße
des Himmels. Und der Himmel kennt uns nicht.

Aus: Die Gedichte 1922 bis 1926
_________________

Sehen Sie dazu bitte auch unseren Beitrag vom 24. September, mit darin die beiden anderen Herbst-Gedichte von Rainer Maira Rilke.

All diese Gedichte sind selbstverständlich auch aufzufinden in:
Rainer Maria Rilke — Die Gedichte — Rilkes lyrisches Werk in einem Band; Limitierte Sonderausgabe; 896 Seiten, gebunden in rotem Leinen; Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig, 2006; ISBN 3-458-17333-1. Preis € 15,— (in der BRD).
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Abbildung: Rainer Maria Rilke, Porträt aus 1906 von Paula Modersohn-Becker (unvollendet), es befindet sich im Paula-Modersohn-Becker-Museum, Bremen. Sehen Sie zu Paula Modersohn-Becker auch unseren Beitrag von gestern 10. Oktober 2007.

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Dienstag, 9. Oktober 2007
Einige Ausstellungen in Norddeutschland ehren die große Künstlerin Paula Modersohn-Becker
Erste Ausstellung
Obwohl schon seit 1. Juli in der ehemaligen Künstlerkolonie Worpswede eine der Ausstellungen die sich mit dem Werk von Paula Modersohn-Becker (1876-1907) befassen, zugänglich ist, werden am kommenden Samstag 13. Oktober in Bremen zwei neue Ausstellungen gleichzeitig eröffnet. Erstens in der Bremer Kunsthalle, unter dem Titel Paula in Paris wo zum ersten mal Stilleben von dieser Künstlerin aus der Periode 1900-1907 — in der sie viermal einige Zeit in der französischen Hauptstadt verbracht hat — mit Werken aus der französischen Avantgarde zusammenkommen. Diese Wechselwirkng ihrer Arbeit mit der von den Protagonisten der französischen Malerei der damaligen Jahrhundertwende — Gauguin, Cézanne, Van Gogh, Matisse und Picasso — ist, nach Auffassung der Organisatoren dieser Ausstellung, eine erste Bekanntschaft mit der modernen Paula Modersohn-Becker. [1]

Zweite Ausstellung
Am selben Tag wird in der selben Stadt Bremen die Ausstellung Paula Modersohn-Becker und die ägyptischen Mummienporträts eröffnet in der KB, i.e. Kunstsammlungen Böttcherstraße.
Während eines ihrer Aufenthalte in der französischen Hauptstadt am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts wurde die Künstlerin in starkem Maße beeinfußt von den antiken Mummienbildern die sie im Pariser Louvre gesehen hat, und damit ist der Porträtstil in der Kunst dieser Periode in hohem Maße erneuert worden. Ihrem Tagebuch hat Paula Modersohn-Becker anvertraut dass sie sehr deutlich fühlte wie sie von diesen Köpfen aus dem Altertum hat lernen können.
In dieser Ausstellung findet man zum ersten mal die Kombination der antiken Mummienporträtkunst zusammen mit der großen Kunst der Paula Modersohn-Becker aus den letzten Jahren ihres Lebens.




Beide Ausstellungen kann man bis zum 24. Februar 2008 besuchen, sechs Tage in der Woche. Wie die meisten Museen und Galerien haben auch diese beiden Institutionen am Montag geschlossen. [2]





[1] www.kunsthalle-bremen.de
[2] www.paula-2007.de
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Abbildungen:
1. Paula Modersohn-Becker: Selbstporträt auf grünem Hintergrund, mit blauer Iris, zirka 1905.
2. Selbstporträt der Künstlerin mit Kamelienzweig (1906/07), ausgeliehen vom Museum Folkwang, Essen.
Hier zusammen mit dem Porträt einer jungen Dame aus den Jahren 120-130 unserer Zeitrechnung. (Privatbesitz.)

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Alte Postkarte (2) — Leipziger Parkanlage wie sie vor einem Jahrhundert aussah: Partie am Schwanenteich
Wenn aus unserem Vorschlag, die sechs massiven Statuen aus Stahl vom niederländischen Bildhauer Herbert Nouwens [1] neben der Thomaskirche in Leipzig einige Zeit auszustellen, aus welchen Gründen auch immer, nichts werden kann, könnte man sich überlegen ob die Anlage beim Schwanenteich dann nicht in Frage käme. Zwar sieht es dort jetzt bestimmt ein wenig anders aus wie auf der hier 'mitgelieferten' Ansichtskarte aus dem ersten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts, doch Grünanlagen eignen sich gerade für diese Ausstellung.
In den Beiträgen, die auf dieser Webseite über die Reihe von sechs Statuen mit dem Titel De Suites — diesen Namen kann wohl jeder ohne Niederländisch-Kenntnisse übersetzen — kann man zur Genüge sehen wie völlig integriert sich diese Statuen aus massivem, jedoch nicht statischem, Stahl in einer größeren Grünanlage ausstellen lassen.
Die Postkarte wurde am 9. März 1912 von einem gewissen Hendrik aus Leipzig an ein Fräulein in der niederländischen Stadt Utrecht (man spreche das NL-U mit Umlaut aus) abgeschickt und ist schon am nächsten Tag in jener Stadt eingegangen, was damals gleichfalls mit einem Poststempel beglaubigt wurde. In jener Zeit die nun vergangen ist, ging das ja noch; in unserer allzu schnellebigen Zeit darf man froh sein wenn eine Postkarte aus Leipzig innerhalb von zwei Wochen den Adressaten im Nachbarland erreicht hat.
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[1] Sehen Sie sich dazu unseren Beitrag vom 4. Oktober an.

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Montag, 8. Oktober 2007
Alte Postkarte (1) — Zahnradbahn von Monte Carlo auf dem Alp Marit vor einem Jahrhundert
Auf einer Höhe von 435 Meter, mit Aussicht auf das Mittelmeer, hat ein Mitarbeiter des Fotogeschäftes ‘Établissement de Potographie Giletta Frères, Nice’, dieses Foto vor ungefähr einem Jahrhundert gemacht. Das Bild zeigt uns die relativ breite Chemin de fer à crémaillère de Monte Carlo. Wir haben es hier also mit einem Zahnradbahn zu tun, und man kann ohne allzuviel Mühe die dazu benötigte dritte Schiene in der Mitte, zwischen den normalen Schienen, klar erkennen.
Diese Postkarte wurde vom Absender mit einigen Zeilen versehen, die er mit blauer Tinte geschrieben hat, und datiert am 28. November 1911. Noch am selben Tag wurde die Karte vom Hauptpostamt Monaco weitergeleitet, was man am Poststempel erkennen kann. Die Karte wurde an einen Empfänger geschickt der damals in der Nähe des Kóniglichen Palastes im Zentrum von Amsterdam gewohnt hat.

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Donnerstag, 4. Oktober 2007
Eine niederländische Ausstellung naht sich dem Ende. Sollten die auf Bachs Cellosuiten inspirierten Skulpturen jetzt nicht nach Leipzig reisen?
Der Künstler erzählt und erklärt unterhaltsam
Am letzten Samstagnachmittag im September hat der ursprünglich aus Rusland stammende Meistercellist Dmitri Ferschtman die Vierte und Sechste Suite für Cello von Johann Sebastian Bach gespielt, als offiziellen Abschluß [1] der Ausstellung DE SUITES mit den sechs imponierenden Skulpturen aus massivem Stahl, die der Künstler Herbert Nouwens im Laufe der letzten Jahre angefertigt hat. Wie sehr man sich auch von vorneherein gefreut hat auf diese Exposition, die Erwartungen wurden jedoch bei weitem übertroffen. Im Rosarium in der nordniederländischen Mühlenstadt Winschoten, nahe der niederländisch/deutschen Grenze haben einige dieser Skulpturen den Eindruck gemacht als wären sie an Ort und Stelle aus dem Boden gewachsen, wie die sie umringenden Blumen und Bäume.

Emotionale Beziehung zur Bachschen Musik
Dass Herbert Nouwens eine besonders emotional geprägte Beziehung zur Musik von Papa Bach hat, erklärt sich unter anderem aus der Tatsache, dass er — vor nunmehr 28 Jahren, während seines Studiums im italienischen Carrara, wo er in den Tälern mit dem vielen Marmor sich das Bildhauen eigen gemacht hat — in seiner Unterkunft auf einem Hügel mit faszinierender Aussicht, jedoch ohne Strom, über längere Zeit keine Musik hören konnte, und gerade diese hat ihm so sehr gefehlt, dass er jetzt, als er bei einem Rundgang, frisch von der Leber, so einiges über das Entstehen seiner Skulpturen erzählt und somit erklärt hat, sich auch der Emotion hingab und erzählte wie froh er war als ein Freund, der ihn aus den Niederlanden besucht hat, ihm ein kleines von Batterien genährtes Kassettengerät mitgebracht hat und er endlich wieder Musik hören konnte. Seitdem ist kaum ein Tag vergangen ohne dass Herbert Nouwens Musik von Bach gehört hat.

Ausstellung auf Tournee?
Wie schön wäre es wenn diese unnachahmliche Ausstellung auch noch in einer anderen Umgebung für Musik- und Bildhaukunstfreunde eine zeitlang zu sehen wäre, zum Beispiel in Leipzig wo die Hauptquelle der Nouwenschen Inspiration, jedenfalls in diesem Rahmen, lange gewohnt und gearbeitet, und nicht zu vergessen, auch noch gewirkt hat.
Man versuche einmal sich vorzustellen wie es aussehen würde wenn diese Skulpturen auf dem Platz neben der Thomaskirche stünden. Schon die Ankündigung würde Diskussionen auslösen, und da es sich um Kunst handelt, die man nicht unbedingt lieben muss, doch die unter anderem dazu da ist, Menschen anzuregen, wäre das nicht nur überhaupt nicht schlimm sondern sogar wünschenswert.
Und obwohl man nicht ohne weiteres behaupten darf dass es sich hier um eine Übertragung von Musik in Skulpturen handelt, kann man das ganze durchaus mit Musik verbinden und es als etwas nachdrücklich Musisches empfinden.
Eventuell können die zur Selbstreflexion benötigten Spiegel im übertragenen Sinne mitgeliefert werden.
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[1] Die Skulpturen bleiben jedoch an Ort und Stelle, vorläufig bis zum Frühjahr 2008.
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Abbildungen
1. Der Cellist Dmitri Ferschtman lässt sich nach dem Konzert die Skulpturen im Rahmen der Suiten vom Künstler erklären.
2. Die Dritte Suite, wie sie von Herbert Nouwens emotional 'umgesetzt' wurde.
3. Die Sechste Suite. Viele junge Pärchen haben sich hier nach der offiziellen Trauung im Rathaus von Winschoten ablichten lassen.

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Mittwoch, 26. September 2007
Niederländische Medea-Vorstellung mit Elzbieta Szmytka auf internationalem Niveau
Die niederländse Nationale Reisopera hat schon in den vergangenen Wochen quer durch das ganze Land acht Vorstellungen von Cherubini's Oper Medea gegeben und es werden bis zum 12. Oktober noch vier Aufführungen in ebensovielen Städten folgen.
Um mit der Medea — der aus Polen stammenden Elzbieta Szmytka — zu beginnen, muss man sagen dass die Leitung der Niederländischen Reiseoper wohl kaum eine bessere Wahl hätte treffen können. Ihre Gegenstimmen und -spieler haben sich alle gleichfalls von der besten Seite gezeigt.

Brillante Ausstattung
Auch die Ausstattung kann man nur in den höchsten Tönen loben. Wände und Mobiliar in art deco-Stil, wobei die durchsichtigen Spiegel bühnenhoch nicht nur den Zuschauerraum [*] klar wiederspiegelt haben bis die Lichter im Saal ausgegangen sind, sondern uns dazu noch den, sogar biblischen, Durchblick ermöglicht haben. Die Bühnenbildner haben hier genau das getan wozu Kunst gut sein sollte: uns einen ganz großen Spiegel vorgehalten.
Obwohl die Bühnen-Atmosphäre nicht an den mythischen Elementen vorbeigeht, war die ganze Presentation durchdrungen vom 20. Jahrhundert. Die hervorragend gestalteten Kostüme, mit in einigen Szenen sogar Nylonstrümpfen mit Naht — die jetzt, wo man sie kaum noch sieht, auf einmal eine stark erotische Wirkung erzeugt haben — mußten wohl den Eindruck einer vor-Kriegsperiode erwecken, doch man hat weitergedacht, und in späteren Szenen hat sich gezeigt dass man mit allem auf die Zeitlosigkeit der Tiefen im menschlichen Wesen — Haß und Rache, sowie verzerrende Boshaftigkeit bis zum Geht-nicht-mehr — hat hinweisen wollen. Als Medea ihre Kinder, die sie mit wiederum aktuellerem Spielzeug beglückt hat, in einen angrenzenden Raum entlässt, sieht man dort einen großen, breiten LCD-Fernseher, womit wir wohl in unsere eigenen Tage gelandet wären.

Kurz und gut, dies ist eine Medea-Vorstellung, die bis ins letzte Detail sich auf dem höchst denkbaren künstlerischen Niveau bewegt, und die deshalb mehr als 'nur' zwölf Auftritte verdient. Das Lob gilt nicht nur den Solisten, sondern ebenfalls dem Chor sowie dem instrumentalen Ensemble, in diesem Fall dem in Arnheim ansässigen Gelders Orkest unter der Leitung von Jan Willem de Vriend.
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[*]
Ich habe die Vorstellung im schönen fin-de-siècle Stadttheater von Groningen, mit ihrem vierstöckigen Zuschauerraum, am 25. Oktober gesehen.
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Die Szenenfotos sind von Hermann und Clärchen Baus.

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Dienstag, 25. September 2007
Herbstgedichte von Rainer Maria Rilke (1)


Herbsttag

Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnehren,
und auf den Fluren laß die Winde los.

Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gieb ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge se zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben

* * * * *
Herbst

Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.

Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.

Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.

Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.
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Beide Gedichte habe ich der Sammlung von Rainer Maria Rilke (1875-1926) mit dem Titel Das Buch der Bilder — des ersten Buches zweiter Teil (1902/06) — entnommen. Selbstverständlich findet man diese beiden Gedichte auch in der Gesamtausgabe.
Rainer Maria Rilke: Die Gedichte, Insel Verlag, Frankfurt am Main 2006; ISBN 3-458-17333-1.

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Abbildingen:
1.
Rainer Maria Rilke, 1917, gezeichnet vom Maler, Grafiker und Lithographen Emil Orlik (1870-1932).
2. Emil Orlik, Selbstporträt aus den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts.

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