Montag, 23. November 2009
Alf Marholm liest aus dem Oeuvre von Paul Heyse
Fünf Abende hintereinander
Die ersten vier Tage in der Kalenderwoche die am Montag 23. November anfängt, wird
Literaturinteressierte in der Sendereihe tAm Abend vorgelesen zwischen 22:00 Uhr und 22:35 Uhr die Möglichkeit geboten sich zu vergnügen mit Texten aus dem Oeuvre von Paul Heyse (1830-1914), welche vom Bühnen-, Film- und Fernsehschauspieler Alf Marholm (1907-2005) vorgelesen wurden und noch einmal gesendet werden.



Am Freitag 27. November wird die fünfte Folge ausgestrahlt welche, wie die vier vorangegangenen, den Titel Barbarossa trägt — jedoch um eine Stunde später: zwischen 23:00 Uhr und 23:35 Uhr.
Paul Johann Ludwig von Heyse — wie er mit vollständig Namen hieß — wurde im Jahre 1910 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet.

Handgeschriebener Auftrag
Paul Heyse hat viel veröffentlicht, darunter eine beachtliche Zahl von Novellen. In einer gebundenen Ausgabe des Buches Novellen am Gardasee aus 1903, das ich im Sommer 1992 für die geringe Summe von einem niederlädnischen Gulden erworben habe, steht ein ganz schöner Auftrag, den ich den Lesern dieser Kulturtempel nicht vorenthalten möchte.




Abbildungen
1. Paul Heyse mit dem Maler Adolph Menzel der ihn auch porträtiert hat.
2. Im Oktober 1906 geschriebener Auftrag mit dem Text:
Dem tapfren Schwesterlein!
Als kleine Freud'
in Schmerzenszeit
von / deinem / Erich.

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Montag, 20. Oktober 2008
Der Autor Otfried Preußler vom neuerdings verfilmten Roman Krabat begeht heute seinen 85. Geburtstag
Obwohl wir gar nicht wissen ob Otfried Preußler — aus Anlaß seines 85. Geburtstages, der heute fällig ist — sich wohl einen Wunschzettel zurechtgelegt hat, oder ob da richtige Feierlichkeiten veranstaltet werden, wissen wir nicht, und hat uns von Journaille im Allgemeinen und in den Kulturredationen isbesondere gar nicht zu interessieren, es sei denn daraus werden öffentlicht Veranstaltungen. Dennoch, gerne gratulieren wir und hoffen dass dieser Schriftsteller noch lange unter den seinen und ein wenig auch bei uns verweilen wird.

Sein berühmtestes Buch ist der Roman Krabat aus dem Jahre 1971, und das wurde im April dieses Jahres zum 24. mal in der dtv-Ausgabe veröffentlicht, diesmal ausschließlich als sogenannter Großdruck.
Preußlers Popularität — sowie die seiner phantastischen Erzählungen — hat leider nicht dazu geführt dass er in die meisten wichtigen Literaturlexika aufgenommen wurde. Nicht einmal im relativ neuen Roman Lexikon von Reclam kann man Krabat finden. Nichtdestoweniger wurde die Verfilmung des Buchs mit Spannung erwartet. Der Film ist inzwischen bereits in den deutschen Kios angelaufen und wird voraussichtlich einen Siegeszug im deutschen Sprachraum erleben.
Vor einigen Wochen als am Wahlsonntag in Bayern die Meldungen über die spektakulären Verluste der dort herrschenden, sich christlich apostrophierende politische Partei im Deutschlandfunk gesendet wurden, war zwischendurch auch ein wenig Platz für Nacrichten aus dem Kulturleben. Eine davon bezog sich auf die Krabat-Verfilmung sowie auf die Tatsache dass Otfried Preußler heute seinen 85. Geburtstag begehen würde. Gleichzeitig wurde darauf hingewiesen dass die scheinbar erwarteten Memoiren dieses Schriftstellers — vor allem die im Zusammenhang mit seinen Erfahrungen als russischer Kriegsgefangener — erst nach seinem Dahinscheiden veröffentlich werden sollen.

Krabat
Der Krabat ist ein vierzehnjähriger Waisenjunge der, vieler Warnungen — sich von der Mühle am schwarzen Wasser fernzuhalten — zum Trotz, sich just in dieser als Lehrling einstellen lässt, eben weil die Neugierde größer ist als die Bereitschaft auf besserwissende Leute zu hören, und das führt dazu dass er die geheimnisvolle Atmosphäre dort nun selbst erleben kann. Denn gerade dort liegt für ihn der Startplatz von vielen wunderbaren und peinlichen, humorvollen sowie dubiosen Abenteuern, von denen sich Liebhaber von Märchen und sonstigen phantastischen Erzählungen allzu gern bezaubern lassen.
Von diesem Buch, das 1971 zum ersten mal veröffentlicht wurde, gibt es schon über ein viertel Jahrhundert eine preiswerte Ausgabe als Taschenbuch, die im April dieses Jahres zum 24. mal nachgedruckt wurde, und seitdem nur noch als Großdruck erhältlich sein wird — ausgenommen in Antiquariaten.
Krabat wird allerseits als Preußlers bestes Buch gehandelt. Auch Berufsleser wie Rezensenten und Literaturhistoriker werden mitgerissen von diesen einfühlsam erzählten Erlebnissen des Jungen, und bevor man sich dies richtig bewußt wird, hat man schon einiges in der eigenen Phantasie miterlebt, so Bilder heraufbeschwörend hat Otfried Preußler dies alles aufgeschrieben.
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Otfried Preußler — Krabat. Roman; 348 Seiten (Großdruck); Deutscher Taschenbuch Verlag, München; April 2008 (24. Auflage). ISBN 978-3-423-25281-2; Prijs 8,95 (in der BRD).

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Mittwoch, 9. Januar 2008
Wilhelm Busch starb heute vor genau einhundert Jahren
Jahrhundert-Gedenken
Am 9. Jänner 1908 ist der Maler, Zeichner und Dichter, Humorist und Denker Wilhelm Busch gestorben. Und obwohl man es mit dem üblichen Rundezahlenfetischismus nicht allzu bunt treiben sollte, bietet dieses Datum eben doch eine gute Gelegenheit sich noch einmal zu beschäftigen mit dem besonderen Menschen Busch, der am 15. April 1832 geboren wurde — eine Tatsache die im vergangenen Jahr schon zu allerhand an Publizistischem geführt hat, denn auch 175 ist nun mal 'ne halbwegs runde Zahl.
Wer sich für diesen außerordentlichen Menschen interessiert, sollte sich nicht die drei — zwei im Dezember und eines in diesem Monat — im Deutschen Taschenbuch Verlag erschienenen Bücher entgehen lassen, da diese zusammen ein breitgefächertes Bild des Literators, des bildenden Künstlers, und nicht zuletzt des Menschen Busch bieten.
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DER EINSAME

Wer einsam ist, der hat es gut,
Weil keiner da, der ihm was tut.
Ihm stört in seinem Lustrevier
Kein Tier, kein Mensch und kein Klavier,
Und niemand gibt ihm weise Lehren,
Die gut gemeint und bös zu hören.
Der Weh entronnen, geht er still
In Filzpantoffeln, wann er will.
Sogar im Schlafrock wandelt er
Bequem den ganzen Tag umher.
Er kennt kein weibliches Verbot,
Drum rauscht und dampft er wie ein Schlot.
Geschützt vor fremden Späherblicken,
Kann er sich selbt die Hosen flicken.
Liebt er Musik, so darf er flöten,
Um angenehm die Zeit zo töten,
Und laut und kräftig darf er prusten,
Und ohne Rücksicht darf er husten,
Und allgemein vergißt man seier.
Nur allerhöchstens fragt mal einer:
Was, lebt er noch? Ei, Schwerenot,
Ich dachte längst, er wäre tot.
Kurz, abgesehn vom Steuerzahlen,
Läßt sich das Glück nicht schöner malen.
Worauf denn auch der Satz beruht:
Wer einsam ist, der hat es gut.

Aus: Zu guter Letzt
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Biographie
Die Germanistin und Mediaevistin Michaela Diers — ihr verdanken wir ein biographisches Portrait, in der nämlichen dtv-Reihe, über Hildegard von Bingen, und Veröffentlichungen über den mit Hildegard befreundeten Bernard von Clairvaux, sowie über Bettina von Arnim und einige Bücher über Mystik — hat sich nachdrücklich mit Leben und Werk von Wilhelm Busch beschäftgt und das Resultat ist, wie kaum anders zu erwarten war, ein hervorragendes Buch das offiziell erst in diesem Monat erschienen ist, jedoch zum Glück für so manch einen, schon seit einigen Wochen im Buchhandel erhältlich ist.
Anhand seiner Zeichnungen und Bilder erläutert Michaela Diers dass die Existenz dieses vielseitigen Künstlers — der vor allem in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts gelebt hat — gar nicht so eindeutig gewesen ist wie man glauben könnte wenn man sich seine Bildergeschichten, mit denen man als Jugendliche(r) — sei es im Originaltext, sei es in irgendeiner Übertragung — beschäftigt hat.
Wenn man, wie die Autorin, sich die Mühe nimmt die wichtigsten Themen im Leben von Busch näher zu betrachten, muss man daraus wohl die Schlussfolgerung ziehen dass er ein tiefempfindender Mensch gewesen ist für den auch nicht immer alles so eindeutig war wie es scheinen mag, wenn man sich die große Beobachtungsgabe, die aus den Bildergeschichten hervorgeht, vor Augen führt. Er war nicht gerade glücklich über den Zeitgeist, der damals als Weltverfassung — nicht zu verwechseln mit einem Weltgrundgesetz, denn sowas hätte am Ende des neunzehnten Jahrhunderts wohl eher Anlass zum Optimismus gegeben — gehandelt wurde. In den hundert Jahren nach seinem Dahinscheiden mag sich wohl einiges im Sozialen verbessert haben, um die Weltverfassung ist es inzwischen ziemlich schlimm gestellt. Denn mit all seiner Phantasie wäre er wohl nicht auf den Gedanken gekommen bei Max und Moritz etwas aus dem Bereich der Industrie zu implantieren.
Wilhelm Busch würde, wenn er in unseren Tagen gelebt hätte, die Begleiterscheingen dieser verheerenden Vorbereitungen mit seinen verschiedenen Federn wohl wieder einiges an Buben- und Mädchenstreichen entgegengesetzt haben.
Heute sind wir soweit: Politiker haben von Auschwitz nichts gelernt: jetzt wollen sie das Restliche, was es noch an Humanem in der Gesellschaft gibt, schon selbst vernichten. Die Bestie aus dem Abgrund lauert überall und den labilsten unter den Politikern kann das nur recht sein, denn mit Monstern paktieren die, im Rahmen ihrer menschenverachtenden Mentalität, nur zu gern. Auch die Folter soll wieder salonfähig werden. Einige Aspekte davon findet man schon in den Zeichnungen bei Wilhelm Busch: da wird Humor hin, Humor her, schon ordentlich geprügelt. Es gibt nun einmal nichts Neues unter der Sonne. Einmal abgesehen von diesem hervorragenden neuen Buch von Michaela Diers, das in seiner Vielschichtigkeit eine große Bereicherung in der Disziplin Biographie bedeutet.
Auch die Gestaltung des Buches, das in der Breite 'ausgedehnt' wurde, damit man eine extra Spalte — vluchtkolom (Fluchtspalte) nennt man sowas im Niederländischen — verfügbar hat für Anmerkungen und, vor allem, für Bildmaterial, verdient ein Kompliment.

Max und Moritz in zehn Dialekten

Gleichzeitig mit dem Gedichtband Reimweisheiten ist eine mundartgerechte Ausgabe von Busch' Eine Bubengeschichte in sieben Streichen, vorangegangen von derselben Geschichte in zehn verschiedenen deutschen Dialekten, und versehen mit ausgewählten Zeichnungen.Die zehn sind übrigens nicht alle Mundart-Versionen die es da gibt. Auf der letzten Seite des Buches wirbt ein anderer Verlag für die A-Z-Ausgabe, mit zusammen 28 verschiedenen Mundarten, von Aachen bis zur Zips.
Der dtv-Auswahlband bietet auch die manchmal notwendigen Glossare und Literaturhinweise, sowie ein Nachwort und Quellenangaben. Über die diversen Autoren kann man sich gleichfalls hinten im Buch näher informieren.
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In der schönen Osterzeit,
Wenn die frommen Bäckersleut
Viele süße Zuckersachen
Backen und zurechtemachen,
Wünschen Max und Moritz auch
Sich so etwas zum Gebrauch.
Doch der Bäcker, mit Bedacht,
Hat das Backhaus zugemacht.
Also, will hier einer stehlen,
Muss er durch den Schlot sich quälen.
Ratsch, da kommen die zwei Knaben
Durch den Schornstein, schwarz wie Raben.
Puff! Sie fallen in die Kist',
Wo das Mehl dadrinnen ist.
Da! Nun sind sie alle beide
Rundherum so weiß wie Kreide.
. . . . .

Aus dem Sechsten Streich
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Wilhelm Busch: Und überhaupt und sowieso — Reimweisheiten. Ausgewählt und herausgegeben von Günter Stolzenberger. 160 Seiten, Paperback, mit einigen Illustrationen. Deutscher Taschenbuch Verlag, München, Dezember 2007; ISBN 978-3-423-13624-2. Preis € 6,—.

Michaela Diers: Wilhelm Busch — Leben und Werk. 196 Seiten, breiter Paperback mit vielen verschiedenartigen Abbildungen. Deutscher Taschenbuch Verlag, München, Januar 2008; ISBN 978-3-423-34452-4. Preis € 14,50.

Wilhelm Busch: Max und Moritz mundartgerecht. (Mit zehn Dialekten.) 192 Seiten, mit einigen Zeichnungen. Deutscher Taschenbuch Verlag, München, Dezember 2007; ISBN 978-3-423-13623-5. Preis € 6,—.
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Abbildungen
Die meisten Abbildungen sprechen für sich, auch die beiden von Wilhelm Busch mit Zigarre. Bei den beiden Ölgemälden im Kapitel über die Biographie von Michaela Diers handelt es sich erstens um das Bild einer alten Frau, das Wilhelm Busch 1852 als Halbprofil gemalt hat; das zweite Bild trägt den Titel Mein Stubenplatz in Wiedensahl und ist um 1860 entstanden. Das Material besteht aus Papier/Pappe, das Bildformat beträgt 20 x 24,8 cm.

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Montag, 24. Dezember 2007
Die Schriftstellerin Angelika Schrobsdorff ist heute achtzig Jahre geworden — Ihr Leben in 13 Büchern
Ein halbes Jahrhundert Bücher veröffentlichen
Wenn es, just an diesem Tage im Jahr kein Grund ist zum Jauchzet, frohlocket da die feinfühlige, ab und zu etwas damenhafte Schriftstelllerin Angelika Schrobsdorff achtzig Jahre alt wir, wann denn dann? Ihr Verlagshaus, dtv, hat die Presse rechtzeitig darüber informiert und so hat man sich etwas vorbereiten können. Etwas mehr als man noch in Erinnerung hatte aus den Büchern die man vor etwa einem Jahrzehnt gelesen hatte, und von denen man sich den Witz (Ironie und Selbstspott), das im positiven Sinne hoffnungsvolle, jedoch ohne Realitätsverlust, erinnern konnte. Seitdem waren jedoch noch wieder einige neue Bücher von ihr erschienen, vor allem keine Belletristik, sondern Erinnerungen an Stationen ihres Lebens.

Berlin und Bulgarien
Angelika Schrobsdorff wurde am 24. Dezember 1927 in Freiburg Breisgau) geboren und lebte eine zeitlang in Berlin, bis sie mit ihrer jüdischen Mutter 1939 vor den Nazis fllüchten mußte. Sie landeten in Bulgarien, anfangs in Sofia und später auf dem Land untergetaucht um den Giftkrallen der bestialischen Hitler-Monstern zu entgehen.1947 kehrte sie nach Deutschland zurück. In 1971 heiratete sie den französischen Philosophen, Journalisten, Filmregisseur und Professor für Filmdocumantationen, der außerdem redakteur der Sartre/Beauvoir-Zeitschrift LesTemps Modernes war.

Erste Erfolge
Doch da hatte sie schon einige Bücher geschrieben, als erste Die Herren ein Roman der wegen des psychologisch-erotischen Inhalts beim Erscheinen 1961 fur Skandale gesorgt hat. Es hat jedoch leider nicht dazu geführt dass die offizielle deutsche Literaturgeschichtsschreibung sich etwas mehr mit dieser Schriftstellerin befasst hat, denn man findet sie in kaum einem Literatur-Lexikon.
Ihr Zeitgenosse — der Schriftsteller-Kollege der mit seinen millionenfach verkauften Büchern, die irgendwo zwischen Unterhaltungslektüre und Belletristik angesiedelt sind — Johannes Mario Simmel, hat sich in einem Satz sehr lobend geäußert: "Die Schrobsdorff hat ihr Leben lang nur wahre Sätze geschrieben." Solches Lob könnt man sich wohl einrahmen.

In Israel
Als sie 1983 beschloss nach Israel zu emigrieren, und sich erst einmal in einem schönen arabischen Haus mit Blick auf die Judäische Wüste niedergelassen hat, konnte sie auch noch nicht ahnen welche Schwierigkeiten ihr noch bevorstehen würden. Auch darüber hat sie berichtet in verschiedenen Büchern. Ein anderes aus der Zeit ist die herzerwärmende Liebeserklrung an die älteste Stadt der Welt, 250 Meter unter dem Meeresspiegel, mitten iin der Wüste von Judea: Jericho. "Ach, das war schön, als wir in Vollmondnächten ans Tote Meer und nach Jericho fuhren."

Die besondere Mutter
Jeder kann verstehen dass die besonderen Lebensumstände ihrer jungen Jahren den weiteren Verlauf ihrer Existenz nachhaltig geprägt haben. Simone de Beauvoir hat für das Buch Die Reise nach Sofia in ihrem Vorwort auch darauf hingewiesen wie sehr es Angelika Schrobsdorff gelungen ist die Gegensätze ihres Lebens in einer ganz eigen, tief empfundenen Sprache wiederzugeben. Das gilt auch für das Porträt ihrer Mutter in dem Buch Du bist nicht so wie andre Mütter — Die Geschichte einer leidenschaftlichen Frau, eine Darstellung des Lebens ihrer Mutter, das eine so enorme Diskrepanz gekannt hat: von der reichen, unbekümmerten Jugend in einer jüdischen Familie im Berlin am Anfang des 20. Jahrhunderts, bis zur völligen Besitzlosigkeit als Resultat des Nazi-Terrors. Doch da sagt die Else dass man zum leben nicht mehr braucht als ein Bett, ein Tisch, zwei Stühle und viel Liebe. Und so gelingt es dieser starken Frau das Prinzip Hoffnung aufrechtzuerhalten. Genau wie die Mutter diese Gegensätze in ihrem Leben zu meistern weiß, gelingt es ihrer Tochter diese literarisch — mit Liebe und Achtung, doch genauso, wenn erforderlich, mit kritischem Abstand — einzufangen, und das ist eine Glanzleistung der besonderen Klasse.
Man darf also, auch dazu, im Nachhinein gratulieren.

Für mehr Informationen über die 13 Bücher von Angelika Schrobsdorff, welche im Deutschen Taschenbuch Verlag erschienen sind, klicken Sie einfach die dtv-Website an: http://www.dtv.de/
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Das Foto von Angelika Schrobsdorff wurde als Ausschnitt dem Umschlag ihres Buches Grandhotel Bulgaria — Heimkehr in die Vergangenheit (dtv 24115) entnommen.

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Freitag, 2. November 2007
Georg Trakl (1887-1914) — Kleines Konzert
KLEINES KONZERT

Ein Rot, das traumhaft dich erschüttert –
Durch deine Hände scheint die Sonne.
Du fühlst dein Herz verrückt vor Wonne
Sich still zu einer Tat bereiten.

Im Mittag strömen gelbe Felder.
Kaum hörst du noch der Grillen singen.
Der Mäher hartes Sensenschwingen.
Einfältig schweigen goldene Wälder.

Im grünen Tümpel glüht Verwesung.
Die Fische stehen still. Gotts Odem
Weckt sacht ein Saitenspiel im Brodem.
Aussätzigen winkt die Flut Genesung.

Geist Dädals schwebt in blauen Schatten.
Ein Duft von Milch in Haselzweigen.
Man hört noch lang den Lehrer geigen,
Im leeren Hof den Schrei der Ratten.

Im Krug an scheusslichen Tapeten
Blühn kühlere Violenfarben
Im Hader dunkle Stimmen starben,
Narziss im Endakkord von Flöten.

GEORG TRAKL (1887-1914)




Georg Trakl: Das dichterische Werk
Auf Grund der historisch-kritischen Ausgabe von Walter Killy und Hans Szklenar.
Mit einem Anhang von Friedrich Kur;
336 pag., paperback, dtv 12496
(17. Auflage 2005)
Deutscher Taschenbuch Verlag, München
ISBN 3-423-12496-2. Preis € 10,—.







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Mittwoch, 31. Oktober 2007
Nikolaus Lenau (1802-1850) — Zwei Herbstgedichte


Herbstlied

Ja, ja, ihr lauten Raben,
Hoch in der kühlen Luft,
's geht wieder ans Begraben,
Ihr flattert um die Gruft!
Die Walder sind gestorben,
Hier, ,dort ein leeres Nest;
Die Wiesen sind verdorben;
O kurzes Freudenfest!
Ich wandre hin und stiere
In diese trübe Ruh',
Ich bin allein und friere,
Und hör' euch Raben zu.
Auch mir ist Herbst, und leiser
Trag' ich den Berg hinab
Mein Bündel dürre Reiser,
Die mir das Leben gab.

Einst sah ich Blüten prangen
An meinem Reiserbund,
Und schone Lieder klangen
Im Laub, das fiel zu Grund.
Die Bürde muß ich tragen
Zum letzten Augenblick;
Den Freuden nachzuklagen,
Ist herbstliches Geschick.
Soll mit dem Rest ich geizen,
Und mit dem Reisig froh
Mir meinen Winker heizen?
Ihr Raben, meint ihr so?
Erinnerungen scharfen
Mir nur des Winters Weh;
Ich mochte lieber werfen
Mein Bündel in den Schnee.


* * * * * *

Herbst

Rings ein Verstummen, ein Entfärben:
Wie sanft den Wald die Lüfte streicheln,
Sein welkes Laub ihm abzuschmeicheln;
Ich liebe dieses milde Sterben.

Von hinnen geht die stille Reise,
Die Zeit der Liebe ist verklungen,
Die Vögel haben ausgesungen,
Und dürre Blätter sinken leise.

Die Vögel zogen nach dem Süden,
Aus dem Verfall des Laubes tauchen
Die Nester, die nicht Schutz mehr brauchen,
Die Blätter fallen stets, die müden.

In dieses Waldes leisem Rauschen
Ist mir als hör' ich Kunde wehen,
daß alles Sterben und Vergehen
Nur heimlich still vergnügtes Tauschen.
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Nikolaus Lenau ist das Pseudonym von Nikolaus Franz Niembsch (ab 1820 Edler von Strehlenau). Er wurde 1802 geboren zu Csatád im Süden Ungarns (heutzutage Rumänien) und starb 1850 in Wien. Noch immer gilt er als einer der größten Lyriker der ganzen Weltlteratur.

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Montag, 29. Oktober 2007
Franz Grillparzer — Musikalisch, in mancher Hinsicht

Musikalisch

Ein Dilettant freut sich zu Haus
An seinem eigenen Geklimper
Doch tritt seine Kunst in die Welt hinaus
Veredelt er sich zum Stümper

Franz Grillparzer (1791-1872)





Derselbe Dichter schrieb auch die Rede am Grabe Beethovens, die im Herbst 1827 — der Komponist war im März jenes Jahres verstorben — vom Schauspieler Heinrich Anschütz ausgesprochen wurde aus Anlass der Enthüllung des Beethoven-Denkmals auf dem Friedhof von Währing.
Grillparzer hat viele Gedanken über alle Künste zu Papier gebracht, in erster Linie in seinen Tagebüchern. Die formulierten Gedanken sind 'Produkte' der intelligenten Zwiesprache, die Grillparzer mit sich selbst geführt hat.
Eins daraus, wiederum über das Phänomen Musik, möchten wir hier noch zitieren:

"Es ist mir schon oft eingefallen, unsere Tonkünstler mit den Schöpfungstagen zu vergleichen. Das Chaos — Beethoven. Es werde Licht! — Cherubini. Es entstehen Berge! (große, aber sehr unbeholfene Massen) — Joseph Haydn. Singvögel aller Art — die italienische Schule. . . Der Mensch — Mozart."

Dieser große Wiener Musiker hat den Schriftsteller
Grillparzer auch weiterhin inspiriert:

Wenn man das Grab nicht kennt, in dem er Ruh erworben,
Wen, Freunde, ängstet das? Ist er doch ncht gestorben!
Er lebt in aller Herzen, aller Sinn
Und schreitet jetzt durch unsre Reihen hin.

Deshalb dem Lebenden, der sich am Dasein freute,
Ihm sei kein leblos Totenopfer heute.
Hebt auf das Glas, das Mut und Frohsinn gibt,
Und sprecht, es leerend, wie er's selbst geliebt:

»Dem goßen Meister in dem Reich der Töne,
Der nie zu wenig tat und nie zu viel.
Der stets erreicht, nie überschritt sein Ziel,
as mit ihm eins und wenig war: Das Schöne!«
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Die Mozart-Zeichnung ist aus 1984 und stammt aus der Feder von Jarko Aikens, (Groningen, Niederlande). Archiv Heinz Wallisch.

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Freitag, 12. Oktober 2007
Herbstgedichte von Rainer Maria Rilke (2)
Herbststimmung

Die Luft ist lau, wie in dem Sterbezimmer
an dessen Türe schon der Tod steht still;
auf nassen Dächern liegt einblasser Schimmer,
wie der der Kerze, die verlöschen will.

Das Regenwasser röchelte in den Rinnen,
der matte Wind hält Blätterleichenschau; —
und wie ein Schwarm gescheuchter Bekassinen
ziehn bang die kleinen Wolken durch das Grau.

Aus: Larenopfer, 1895

Herbst-Abend

Wind aus dem Mond,
plötzlich ergriffene Bäume
und ein tastend fallendes Blatt.
Durch die Zwischenräume
drängt die schwarze Landschaft der Fernen
in die unentschlossene Stadt.

Aus: Die Gedichte 1906 bis 1910
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Herbst

Oh hoher Baum des Schauns, der sich entlaubt:
nun heißts gewachsen sein dem Übermaße
von Himmel, das durch seine Äste bricht.
Erfüllt vom Sommer, schien er tief und dicht,
und beinah denkend, ein vertrautes Haupt.
Nun wird sein ganzes Innere zur Straße
des Himmels. Und der Himmel kennt uns nicht.

Aus: Die Gedichte 1922 bis 1926
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Sehen Sie dazu bitte auch unseren Beitrag vom 24. September, mit darin die beiden anderen Herbst-Gedichte von Rainer Maira Rilke.

All diese Gedichte sind selbstverständlich auch aufzufinden in:
Rainer Maria Rilke — Die Gedichte — Rilkes lyrisches Werk in einem Band; Limitierte Sonderausgabe; 896 Seiten, gebunden in rotem Leinen; Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig, 2006; ISBN 3-458-17333-1. Preis € 15,— (in der BRD).
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Abbildung: Rainer Maria Rilke, Porträt aus 1906 von Paula Modersohn-Becker (unvollendet), es befindet sich im Paula-Modersohn-Becker-Museum, Bremen. Sehen Sie zu Paula Modersohn-Becker auch unseren Beitrag von gestern 10. Oktober 2007.

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Sonntag, 26. August 2007
Mascha Kaléko — Ansprache eines Bücherwurms

Ansprache eines Bücherwurms

Der Kakerlak nährt sich vom Mist,
Die Motte frißt gern Tücher,
Ja, selbst der Wurm ist, was er ißt.
Und ich, ich fresse Bücher.

Ob Prosa oder Poesie,
Ob Mord — ob Heldentaten —
Ich schmause und genieße sie
Wie einen Gänsebraten.


Ich bin ein sehr belesner Herr,
Nicht wie die andern Viecher!
Daß Bücher bilden, wißt auch ihr,
Und ich — ich fresse Bücher.

Die Nahrung, sie behagt mir wohl,
Verleiht mir Grips und Stärke.

Was andern Wurst mit Sauerkohl,
Das sind mir Goethe's Werke.

Ich fraß mich durch die Literatur
So mancher Bibliotheken;
Doch warn das meiste, glaubt es nur,
Bloß elende Scharteken.

Das Bücherfressen macht gescheit.
So denken sich's die Schlauen.
Doch wer zuviel frißt, hat nicht Zeit,
Es richtig zu verdauen.


Drum lest mit Maß, doch lest genug,
Dann wird's euch wohl ergehen.
Bloß Bücher fressen macht nicht klug!
Man muß sie auch verstehen.
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Mascha Kaléko (1907-1975)
Wir haben keine andere Zeit als diese

opgenomen in Mein Lied geht weiter (2007)


Mascha Kaléko: Mein Lied geht weiter — Hundert Gedichte. Ausgewählt und herausgegeben von Gisela Zoch-Westphal; 160 Seiten, Paperback, Deutscher Taschenbuch Verlag, München, Mai 2007; ISBN 3-423-13563-4. Preis € 6, —.






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